Einen Dank an Koni für das Bild
*Ketten anleg und in Kinosessel steck*
Herzlichst Willkommen lieber Leser, ich hoffe du fühlst dich hier ausgesprochen wohl und wirst meine Geschichte lesen!
Ist die erste die ich jetzt schon länger schreibe und auch fortführe von daher wäre Feedback super toll (bitte bitte, schluchz)
Ich stelle sie hauptsächlich herein um das zu bekommen, also gibt schön welches ab, selbst wenns auch nich gefällt! (böse guck)
Ansonsten... was gibts noch zu sagen? Es dreht sich hauptsächlich um Liebe, auch zwischen Jungen, also wenn euch sowas überhaupt nicht interessiert dann verschwindet lieber wieder XD
Öh ja fangen wir einfach mal an und werfen euch ins kalte Wasser
Es ist einer dieser seltenen Momente. Einer dieser Momente in denen die gesamte Klasse keinen Mucks von sich gibt. Wo das Klassenzimmer der 11b nicht das lauteste des gesamten Flures ist. Solche Momente gab es eigentlich bisher nur in Klassenarbeiten oder wenn Herr Feldhorn morgens mal keine Zeit hatte seinen Kaffee zu trinken. In diesem Moment ist keine dieser Situationen festzustellen.
Es ist der erste Tag nach den Sommerferien und für gewöhnlich sollte es besonders an diesem Tag eine Menge zu erzählen geben, aber wie schon erwähnt ist die Klasse von einer gar unheimlichen Stille umgeben.
Der „Neue“ hatte soeben den Klassenraum betreten. Unsere Klassenlehrerin hatte uns schon vor den Sommerferien Bescheid gegeben, dass wir einen Jungen in die Klasse bekommen würden, aber ich denke wir alle haben uns da etwas ganz anderes vorgestellt.
Das erste was uns an ihm auffällt ist... schwarz. Er ist komplett schwarz gekleidet. Eine schwarze Lederjacke, schwarze Stiefel und sogar ein Nietenhalsband. Seine Haare waren ebenso dunkel. Das einzige was heraussticht sind seine blauen Augen und seine helle Hautfarbe. Nun gut, man soll sich ja nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen lassen. „Hey“ begrüße ich ihn knapp. Aber alles was ich abbekomme ist nur ein ausdrucksloser Blick, den er mir für geschätzte 2 Sekunden zuwirft. Meine Klassenkameraden, ebenso irritiert wie ich haben ihre Stimmen wiedergefunden und ein leises Flüstern bricht aus.
„Der ist ja mal unsympathisch.“ flüstert mir Tim, mein Sitznachbar, leise zu. Ich erwidere nichts und mustere den Kerl nochmal ganz genau. Er ist ziemlich klein für einen Jungen in unserem Alter, 1.60 m maximal.
Mittlerweile hat er es sich auf dem Tisch unserer Lehrerin gemütlich gemacht und schaut gelangweilt zur Tür. Diese erscheint nach einer Weile endlich. „Guten Morgen.“ begrüßt sie uns alle knapp und betritt den Raum. Der Neue hüpft wie aufs Stichwort von ihrem Schreibtisch und scheint sich, immer noch ziemlich ausdruckslos, bei ihr vorzustellen. Da es nun wieder etwas lauter geworden ist klatscht unsere Lehrerin ein paar mal in die Hände, das ist ihre Art uns zur Ruhe zu bringen. „Also meine Lieben, das ist Robin, er wird ab jetzt in eure Klasse gehen.“ Erst jetzt bemerke ich, dass er außer dem Nietenhalsband auch noch ein Piercing, links an der Unterlippe trägt. „Wenn die Stunde rum ist wird ihn jemand von euch zur Bücherei bringen, damit er seine Bücher abholen kann.“ Nun wendet sie sich an Robin. „In der letzten Reihe ist noch ein Platz frei, setzt dich erstmal dahin.“ Er gehorcht und setzt sich auf den letzten freien Platz, neben Hannah.
Hannah ist wohl das komplette Gegenteil von Robin. Was jetzt nicht nur daran liegt, dass sie ein Mädchen ist, sie ist ziemlich groß, hat blonde, lange Haare und investiert ebenso viel Geld in Schminkartikel wie meine Mutter für einen Wocheneinkauf. Wie man sich jetzt sicherlich vorstellen kann, ist sie überhaupt nicht davon angetan, den freien Platz (der im übrigen immer für ihre Handtasche reserviert war) für Robin aufzugeben.
Mit einem gekonnten Augenverdrehen legt sie ihre Tasche neben sich und rückt ein wenig zur Seite, wahrscheinlich nicht nur um Robin Platz zu machen, aber das ist nur eine Vermutung. „Also dann lasst uns anfangen!“ sagt Frau Seleska, voller Motivation.
Für uns Schüler, voller Demotivation, ging die Stunde nur schleppend vorbei. Es wurde eigentlich ausschließlich organisatorisches besprochen. Und wer ist der glückliche, der dazu ernannt wurde Robin zur Bücherei zu bringen? Das bin ich, wahrscheinlich weil ich zum Klassensprecher gewählt wurde. Immerhin verpasse ich dafür einige Minuten von Herrn Feldhorns Unterricht und seiner Leidenschaft, der Mathematik.
Langsam trotten wir den gepflasterten Weg neben der Schule entlang. Unsere Bücherei liegt etwas weiter hinter der Schule, aber sie ist auch so gelegen, das Schüler es problemlos in 10 Minuten hin und zurück schafften. Robin schaut zu mir herüber. „Ist was?“ frage ich. Und welch ein Wunder, ich bekomme sogar eine Antwort. Das ist das erste mal heute, dass ich den Neuen richtig sprechen höre. „Nein. Wie heißt du eigentlich?“ Etwas verwundert schaue ich ihn an. Mit sowas habe ich jetzt nicht gerechnet, immerhin dachte ich er interessiert sich nicht für andere. „Ehm, Daniel.“ Aber so schnell wie er angefangen hat das Reden für sich zu entdecken, schiebt er es auch wieder beiseite, denn ab da an redet er kein Wort mehr mit mir.
„Und wie wars mit dem?“ fragt mich Paul, der eine Reihe vor mir sitzt. „Der hat bestimmt kein Wort geredet“ lacht Phillip. „Er hat mich nur gefragt wie ich heiße, sonst nix.“ erwidere ich, während ich mein Pausenbrot esse. „Der ist schon ein bisschen komisch, oder Hannah?“ ruft Paul dem blonden Mädchen zu. „Ja total, das nervt mich voll, dass ich wegen dem meine schöne Tasche auf den dreckigen Boden stellen muss!“ krächzt sie los. Nun versammelt sich fast die ganze Klasse an der Tischtennisplatte. Es ist Pause und ich sitze wie gewohnt an meinem Stammplatz. Auf der 3 Tischtennisplatte, auf dem Schulhof, hinter der Schule. Unsere Klassengemeinschaft ist eigentlich ziemlich gut, wir kommen alle super miteinander aus, deswegen hocken wir auch oft gemeinsam miteinander rum. Und diesmal hatten wir auch ein Thema was wirklich alle interessierte. „Allein schon wie der aussieht. Der passt überhaupt nicht in unsere Klasse!“ sagt Celine. „Na ja vielleicht ist er ja ganz nett.“ werfe ich in die Runde ein. „Pah, das glaubst du doch selber nicht. Der ist total unfreundlich und redet kein Wort. Wir müssen uns schnellstens was ausdenken wie wir den wieder loswerden!“ sagt Hannah, womit sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich halte nicht wirklich viel von dem Plan. Ich bin nicht unbedingt für ihn, denn es stimmte, dass er wohl ziemlich schlecht in unsere Klasse passen würde und wir haben nunmal eine der besten Klassengemeinschaften. Er würde sozusagen das Bild kaputt machen. Aber jemanden herauszumobben war auch nicht die beste Lösung.
„Ehm... Leute...“ sagte Paul, plötzlich ganz kleinlaut. Wir schauen zu ihm und als sich alle umdrehen, sehen wir in ein Gesicht, welches wir in diesem Moment wohl besser nicht hätten sehen wollen. Robin steht mitten in der Runde! Wie lange stand der denn da schon? Hannah fällt fast die Kinnlade herunter. Er zwängt sich durch den Rest, was gar nicht nötig ist, denn es machen ihm sofort alle Platz. Er hält mir etwas kleines, schwarzes hin. Mein Portemonnaie. „Hast du wohl ausversehen fallen gelassen.“ sagt er. Das komische ist, dass man aus seinem Tonfall, rein gar nix heraus hören kann. Ist er sauer, verletzt, traurig? Nein er sagt es ganz trocken, reicht mir meine Brieftasche hin und verschwindet dann.
„Was zum Teufel... seit wann steht der denn da?!“ sagt Celine entsetzt. „Der is ja auch so klein, dass man ihn übersieht!“ sagt Phillip. Hannah, die ihren Mund endlich wieder zu gekriegt hat und anscheinend auch wieder total gefasst ist, sagt: „Ist doch egal was der denkt. Der kann ruhig wissen was wir von ihm halten.“
„Na ich weiß nicht, vielleicht sollten wir uns entschuldigen.“ sagt Nick. „Feigling, du musst doch zu deiner Meinung stehen.“ ermutigt Nina, seine Schwester, ihn. Ich schaue auf mein Portemonnaie hinab. Immerhin hat er es mir gebracht. Dann kann er doch gar kein schlechter Kerl sein. „Hey, Daniel, denk jetzt bloß nichts falsches! Der Typ hat dir das sicherlich nur gebracht, weil ihn unsere Lehrerin oder sonst irgendwer dazu aufgefordert hat.“ reißt mich Celine aus meinen Gedanken. „Genau!“ stimmen die anderen mit ein.
Da heute der erste Schultag war, hatten wir nach der vierten Stunde aus. Besonders viel Unterricht hatten wir heute nicht gemacht, nur grob die Themen besprochen, die wir durchnehmen würden im laufenden Jahr. Das war natürlich nicht schlecht für uns, so hatten wir wenigstens keine Hausaufgaben oder dergleichen aufbekommen. Die meisten aus meiner Klasse fahren mit dem Bus. Ich war einer der wenigen, dessen Haus nur einige Straßen weiter liegt. „Also bis morgen.“ sage ich zu Phillip, der mit mir immer bis zum Bahnübergang geht. Ich überquere diesen und er muss immer nach links abbiegen. Die Schranken gehen gerade herunter, also beschließe ich zu warten, anstatt wie ein Bescheuerter über die Schienen zu rennen. Das würde jetzt zwar einige Minuten dauern, aber das macht ja nichts. Immerhin habe ich Zeit.
Nach ungefähr drei, vier Minuten höre ich Schritte hinter mir. Ich drehe mich langsam um, aber umso schneller wieder zurück. Robin! Was macht der denn hier?
Robin! Was macht der denn hier? Okey der hat wahrscheinlich auch ein Zuhause... Aber muss das in meiner Richtung liegen? Ich meine es ist nicht der Weltuntergang aber unangenehm irgendwie schon. „So sieht man sich wieder...“ sage ich leise, ohne irgendwelche Hoffnungen, dass er mir antworten würde. „In vielerlei Hinsicht.“ sagt er. Was? Wie meint er das denn jetzt? „Wie meinst du das?“ frage ich, während ich mich zu ihm drehe. Er starrt nach vorne. Ausdruckslos. Dann dreht er seinen Kopf zu mir und ich habe das Gefühl, dass sich sein Ausdruck etwas verändert hat, ernster geworden ist. „Daniel?“ sagt er. „ja was denn?“ frage ich irritiert. Der Zug saust mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit vorbei, lässt die ersten Blätter, die von den Bäumen fielen, im Wind tanzen. Er schaut wieder nach vorne. „Ach nichts besonderes.“ Er wirkt nun wieder ziemlich gelangweilt. „Sicher?“ hake ich nach. Er antwortet mir nicht. Nach ein paar Minuten des Schweigens gehen die Schranken wieder hoch. Wir überqueren die Gleise und wie sich herausstellt gehen wir ab da auch in die gleiche Richtung. Er muss nur eine Straße vor mir abbiegen. „Also... bis dann.“ sage ich und gehe weiter. „Bis dann, Daniel.“ antwortet er mir. Ich drehe mich um, aber er ist schon abgebogen. Ein seltsamer Kerl.
Den restlichen Tag hatte ich nicht sehr sinnvoll verbracht. Chips essen und vor dem Laptop sitzen war aber nunmal meine Lieblingsbeschäftigung. Ich liebe das Programmieren. Mit den Programmen rumzuspielen macht irre viel Spaß, besonders wenn es auch etwas schwierig wird. Hannah hatte mich dann noch in einen Gruppenchat eingeladen. Die ganze Klasse war dabei, bis auf Robin natürlich. Und sie diskutierten echt darüber wie sie jenen am besten aus der Klasse rausekeln könnten. Lisa schrieb zum Beispiel: „Wie wärs wenn wir ihm jeden Tag den Schwamm auf dem Stuhl ausdrücken.“ „Super Idee“ schrieb Rebecca dazu.
Es kamen noch einige solcher Vorschläge. Ich beteiligte mich nicht sonderlich daran, irgendwie hatte ich immer noch das Gefühl, das man das ganze auch anders lösen konnte. Und so schlimm war er ja auch gar nicht.
Der zweite Schultag beginnt genauso früh wie der erste. Ich quäle mich aus dem Bett und ziehe mich hastig an. Das einzige mit dem ich mich etwas länger beschäftige sind meine Haare. Ich schmiere noch schnell ein paar Marmeladenbrote und mache mich dann auf den Weg zur Schule. Auf diesem begegne ich auch wieder Robin. „Morgen.“ sagt er knapp. Hey, immerhin kann er sprechen. „Guten Morgen.“ antworte ich. Wir schlendern zusammen zur Schule, er ist wahrscheinlich genauso müde wie ich, jedenfalls hat er Augenringe.
Es lag wahrscheinlich daran, dass ich so müde war. Aber ich hätte sofort wissen müssen was passiert, wenn ich, der Klassensprecher, mit demjenigen in die Klasse komme, über den es gestern in einem Chatroom heiß her ging. Die anderen gucken mich verwundert an. „Morgen.“ sage ich leise. Während beiden Stunden redete Tim nicht sonderlich viel mit mir. Es hatte bestimmt damit zu tun, dass ich mit Robin zusammen in die Klasse kam. Was sich die anderen wohl gerade alles ausmalen? Jetzt ist jedenfalls Pause. Ich gehe wie üblich zu meinem Stammplatz, wo sich schon die ganze Klasse versammelt hat. Es kommt mir ein bisschen so vor, wie in einem Gerichtssaal. „Was sollte das denn? Warum kommst du mit dem in die Klasse?“ fragt mich Hannah. „Wir haben halt den gleichen Schulweg. Wir sind dann zufällig zur selben Zeit gekommen. Was wirdn das hier?“ „Hör mal du kannst dich daran erinnern, dass wir den nicht in unserer Klasse haben wollen.“ sagt Tim. „Ja schon, aber, also eigentlich ist er ganz nett.“ sage ich leise. „Ganz nett? Das hat er bis jetzt aber nicht gezeigt. Hör mal Daniel, du bist unser Klassensprecher, wir müssen uns auf dich verlassen können.“ sagt Celine „Ja schon, aber ich bin dann ja auch der Klassensprecher von Robin.“ sage ich kleinlaut. „Daniel, entscheid dich endlich. Wir wollen ihn jedenfalls nicht!“ sagt Hannah. „Ja gut... ich denke es ist für das Klassenklima vielleicht doch besser, wenn er geht.“ gebe ich zu. „Geht doch.“ sagt Hannah und fängt an zu grinsen. „Dann geh aber auch nicht mit ihm zusammen zur Schule beziehungsweise nachhause.“ sagt Lisa. Ich stecke mir die Hände in die Hosentaschen. „Verstanden.“ sage ich.
Es ist Schulschluss. Ich lasse mir besonders viel Zeit um meinen Platz aufzuräumen und meine Kapuzenjacke anzuziehen. Es ist zwar Sommer, aber das der Herbst bald kommen würde konnte man deutlich spüren. Ich mache mich auf den Weg und hey, er ist nirgends zu sehen. Erleichtert atme ich durch. Wären wir uns wieder begegnet hätte ich es wohl nicht geschafft schneller als er zu gehen und ihn somit praktisch hinter mir zu lassen. Zuhause angekommen öffne ich die Tür. Es riecht nach Essen, was ich toll finde, Mutter kocht nämlich selten. Ich schmeiße meine Schultasche an die Seite und ziehe mir die Schuhe aus, dann mache ich mich auf den Weg zur Küche. Ich höre Stimmen, wir haben also Besuch. Sieht Mutter ähnlich, wenn wir Gäste haben tischt sie das feinste vom feinsten auf und wenn wir alleine sind müssen wir Dosenfraß essen. „Bin zuhause, Mom.“ sage ich, während ich in die Küche einbiege und... mir fast die Augen heraus fallen. „Ah da bist du ja Daniel! Guck mal wer wieder da ist! Tante Gesine und ihre Familie.“ meine Mutter explodierte fast vor Freude und ich... sah in Robins Gesicht.
und ich... sah in Robins Gesicht.
Meine Mutter hüpft und quieckt und verschwindet singend im Wohnzimmer und die Tante Gesine erdrückt mich fast. „Och bist du groß geworden, ja schon größer als mein Robin.“ Ich versuche mich zu befreien aber das ist zwecklos, bis meine Mutter kommt und mich aus meiner Qual erlöst. „Hier schau mal Daniel, das habe ich noch gefunden!“ Sie hält mir ein altes Foto entgegen, auf dem zwei junge Frauen und zwei spielende Kinder zu sehen sind. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen!
Damals hatte sich meine Mutter von meinem Vater scheiden lassen und ist, damit ich dieses „Trauma“ verarbeite, ständig mit mir zu so Kursen gegangen, wo alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern waren.
Dort hat sie dann Gesine kennen gelernt, ich war damals noch ziemlich jung und habe mich sofort mit ihrem Sohn Robin angefreundet. Dieser war ein Jahr älter als ich und auch um einiges größer. Seit dem waren wir unzertrennlich Gesine und meine Mutter haben sich fast immer getroffen und ich und Robin waren die besten Freunde. Daher kommt auch die Bezeichnung „Tante“, sie ist nicht meine richtige Tante, aber Mutter meint das würde die Beziehung von mir zu ihr stärken und ich würde über Vater hinwegkommen. Dann sind die beiden weg gezogen, ich war am Boden zerstört, wie konnte ich das bloß vergessen?!
„Oh ist das aber ein süßes Foto! Guck mal da war der Robin noch größer als Daniel!“ „Ja total süß oder? Oh Gesine du musst mir alles erzählen, wie war das Leben auf dem Land so?“ „Oh da gibt es so viel zu erzählen meine Liebe! Jungs geht doch rauf auf Daniels Zimmer, ihr habt euch bestimmt auch eine Menge zu erzählen!“ Ich schaue Robin an. Ist doch logisch dass ich mich nicht erinnern konnte. Er sieht total anders aus als damals. Und es gibt immerhin über tausende von Robins auf der Welt. „Klar... warum auch nicht.“ sage ich leise. Robin, der anscheinend von seiner Mutter herausgeputzt wurde (er trug zur Abwechslung mal halbwegs normale Klamotten und kein Nietenhalsband), steht auf und folgt mir schweigend in mein Zimmer.
Dort angekommen räume ich erstmal ein paar Klamotten, die auf dem Boden herumliegen, zusammen. „Warum hast du denn nichts gesagt.“ frage ich um das Schweigen zu brechen. „Ich war mir erst auch nicht sicher, meine Mutter hat zwar die ganze Zeit davon gesäuselt, dass wir dann endlich Tante Vera wiedersehen aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du auch in meine Klasse gehst. „Aber du hast mich doch dann erkannt.“ frage ich. „Ja, im Gegensatz zu dir habe ich das.“ sagt er. „Du hast dich aber auch ganz schön verändert, ich mich ja kaum, außer das ich größer geworden bin.“ versuche ich mich zu verteidigen. „Stimmt.“ sagt er, während er sich in meinem Zimmer etwas umschaut. Ich setze mich auf meinem Schreibtischstuhl. „Kaum zu glauben, was? Dass wir früher so viel gemacht haben.“ sage ich. „Ja, stimmt schon. Wir waren fast jeden Tag bei euch.“ er grinst. Und wow, ich glaube das ist der erste Moment in dem er das tut. „Du solltest öfters so aufgeschlossen sein.“ sage ich. „Warum? Damit mich die neue Klasse mag?“ „Na ja...“ ich erinnere mich an die Sache in der Pause. „Mir ist es egal ob die mich mögen oder nicht.“ sagt er. Ich muss schmunzeln. „Und was ist wenn sie es dir zur Hölle machen?“ „Mir doch egal. In der Schule war ich bis jetzt immer ganz gut. Ich kann Leute auch ganz gut ignorieren von daher.“ sagt er. Ich weiß nicht warum, aber ich bewundere ihn dafür. Hätte ich soviel Rückgrat wie er... dann würde bestimmt auch vieles für mich anders laufen. Ich starre den Boden an. „Aber ich glaub mir ist es nicht egal was du von mir denkst.“ sagt er plötzlich. „Hm?“ frage ich verwundert. „Ach nix.“
Nachdem Robin mir ein wenig vom Land erzählt hatte fragte er mich was bei mir so in der Zwischenzeit passiert war. „Ach Na ja...“ sage ich. „Nicht viel... ich bin halt in der Schule so um die Runden gekommen und versuch mich jetzt am Abi.“ „Und sonst war nichts besonderes los?“ fragt er unglaubwürdig. Für einen kurzen Moment denke ich tatsächlich darüber nach es zu sagen. Ich verkrampfe. „Also...“ fange ich an. „Ja?“ fragt er. „Mein Onkel Gustav hat jetzt eine Tochter.“ antworte ich. Immerhin war es wahr, auch wenn es nicht das war, was ich sagen wollte. Er zieht eine seiner Augenbrauen hoch, doch bevor er etwas darauf antworten kann lenke ich schnell ein anderes Thema ein. „Du bist ja kaum gewachsen.“ lache ich. „Hey, ich bin ja auch noch im Wachstum, also kein falsches Wort!“ sagt er grimmig. „Na ja, mich wirst du wohl kaum noch übertreffen können.“ sage ich, während ich ihn schief angrinse. „So ein Riese will ich auch nicht sein.“ sagt er beleidigt. „Jungs!“ höre ich meine Mutter aus dem Wohnzimmer krakeelen. „Was denn?“ rufe ich. „Kommt mal runter, wir müssen euch unbedingt etwas zeigen!“ höre ich Tante Gesine rufen. Robin und ich schauen uns fragwürdig an, leisten dem Befehl aber Folge und gehen die Treppe hinunter.
„Was denn jetzt?“ frage ich. „Guckt euch das mal an!“ quietscht meine Mutter voller Freude. Sie hält uns ein weiteres Foto entgegen, darauf zu sehen sind Robin und ich, wie wir in einer selbstgebauten Kissenburg sitzen. „Ach herrje...“ flüstert Robin. „Hach, das war als ihr dagegen rebelliert habt euer Gemüse zu essen.“ schwelgt meine Mutter in Erinnerungen. „Und als wir die Kissenburg „abgerissen“ haben seid ihr beide in Tränen ausgebrochen.“ lacht Gesine. „Ihr habt euch sogar schwarze Streifen ins Gesicht geschmiert.“ Ich hatte das Gefühl meine Mutter erstickt gleich vor Lachen. „Solche Fotos sollten verbrannt werden.“ sagt Robin leise, während er das Foto schief anguckt. „Wo habt ihr das ganze Zeug eigentlich her?“ frage ich. „Na hier, das war doch eure gemeinsame Kiste!“ sagt meine Mutter, während sie mir ein kleines, mit Stickern beklebtes Kästchen entgegen hält. „Unser Kästchen?“ fragt Robin. Ich nehme das Teil entgegen, auf den Stickern ist die Kinderserie Digimon zu erkennen, das war früher eine unserer Lieblingsfernsehsendungen. Robin klappt den Deckel hoch und was wir vorfinden sind ein Haufen Fotos und lauter Kleinteile. Eines etwas ekelerregender als das andere. „Was ist das denn?“ fragt Robin, während er einen kleinen Gegenstand aus der Kiste zieht. Meine Mutter und Tante Gesine gucken sich das kleine Teil ganz genau an, bis meine Mutter des Rätsels Lösung hat. „Ach das war Daniels erste Ü-Ei Figur! Leider hat er ständig darauf herumgekaut... und sie dir dann geschenkt.“ Robin wirft mir einen belustigten Blick zu. „Du hast mir bestimmt auch eine Menge angefressenes Zeug geschenkt.“ nuschle ich. „Apropos Gemüse! Ihr beide habt doch noch gar nichts gegessen. Dabei hat deine Mutter extra gekocht, Daniel!“ Jetzt wo sie es sagt fällt es mir auch auf. Ich habe ganz schönen Hunger. „Stimmt. Was hast du denn gekocht?“ frage ich. „Gemüseauflauf!“ sagt meine Mutter stolz. „Was für ein Zufall.“ sage ich in Anbetracht des Fotos. „Keine Angst ich habe alle Kissen versteckt.“ flüstert meine Mutter es hörbar Tante Gesine zu. „Mama, wir bauen jetzt bestimmt keine Kissenburg auf.“ sage ich, etwas peinlich berührt. „Wer weiß das schon.“ sagt meine Mutter, als ob sie das wirklich in Betracht gezogen hätte. Robin und ich schaufelten im Gegensatz zu unseren 4 und 5 jährigen Wirs zwei Teller des Gemüseauflaufs in uns hinein und nach einer Weile verschwanden Robin und seine Mutter dann auch. Immerhin war morgen Schule, erwähnte Tante Gesine.
Als ich im Bett liege fange ich an mir ein paar Gedanken zu machen. Die anderen aus meiner Klasse wollen nicht dass ich auch nur irgendwas mit Robin zu tun habe. Aber allein durch die Tatsache, dass meine Mutter und seine Mutter wie Kletten aneinander klebten, ging das nicht. Außerdem war er früher mein bester Freund gewesen, wir hatten uns zwar beide verändert, schienen aber immer nochgut miteinander auszukommen. Wenn ich es schaffen könnte die anderen davon zu überzeugen, dass er gar nicht so schlimm ist, würden sie ihn vielleicht in Ruhe lassen. Das Problem ist nur, dass Robin auch gar kein Interesse an der Klasse zeigt. Ich drücke mir mein Kissen auf den Kopf. Sollte ich morgen allein zur Schule gehen oder auf ihn warten? Würden wir uns nicht eh begegnen? Ich drehe mich auf die Seite. Das ist doch alles Unsinn, wenn wir uns begegnen, begegnen wir uns eben. Dann gehen wir halt zusammen zur Schule. Die anderen müssten das doch eigentlich akzeptieren... Und wenn sie es nicht akzeptieren? Sie würden mich wahrscheinlich wieder vor die Wahl stellen. Er oder wir. Sie würden uns dann wahrscheinlich beide versuchen aus der Klasse zu ekeln. Und ich wäre auch nicht mehr ihr Klassensprecher. Aber war sowas dann Freundschaft?
Mein Wecker muss schon seit einigen Minuten klingeln, denn als ich ihn ausmache war es schon sieben nach sechs. Müde quäle ich mich aus dem Bett und spüre jetzt schon, dass ich im Laufe des Tages ziemliche Kopfschmerzen kriegen werde. Meine Augen sind schwer und als ich in den hell erleuchteten Flur trete, würde ich am liebsten wieder in mein dunkles Zimmer zurückkehren. An diesem Morgen dauert alles ein wenig länger, das Waschen, das Zähneputzen, das Umziehen, einfach alles. So unausgeschlafen bin ich nur selten, aber diesmal lag es nicht daran, dass ich zu lange ferngesehen habe, oder zu lange programmiert habe, nein, diesmal lag es daran, dass ich einfach die ganze Nacht damit verbracht habe, über die Robin-Sache nachzudenken. Da also alles länger dauert, gehe ich auch später los. Von Robin keine Spur, er war also schon ein gutes Stück vor mir, es sei denn er hat auch verschlafen oder Aliens haben ihn entführt oder so. Die Schule sieht verlassen aus, aber das täuscht nur, wahrscheinlich hatte der Unterricht schon angefangen und da ich so getrödelt habe, muss ich mir jetzt eine gute Ausrede einfallen lassen. An unserer Schule werden die Fehlzeiten und Verspätungen nämlich immer feinsäuberlich eingetragen und wer sich dreimal verspätet hat bekommt einen schönen Eintrag ins Zeugnis. Es ist nicht so dass ich schon zweimal eine unentschuldigte Verspätung hatte, ich wollte einfach nur auf Nummer Sicher gehen. Ich stehe vor der grauen Tür und schleife nochmal an meiner Ausrede, als ich anklopfe. „Herein.“ höre ich die Klasse rufen. Ich öffne die Tür und zu meiner positiven Überraschung ist kein Lehrer zu sehen. Erleichtert gehe ich zu meinem Platz. „Wo warst du denn?“ fragt mich Tim. „Hab leider etwas verschlafen. Und ein wenig herumgetrödelt. Wo ist denn Frau Gilbert?“ frage ich. „Ach die ist noch gar nicht hier gewesen, keine Ahnung wo die steckt.“ lacht er. Ich lächle und drehe meinen Kopf vorsichtig nach hinten, Robin sitzt auf seinem Platz, von Aliens wurde er schonmal nicht entführt.
„Der kam heute auch später.“ sagt Tim, der meinen Blick bemerkt hat. „Echt?“ frage ich. „Ja, zehn Minuten bevor du kamst.“ Ich schaue auf die Uhr. Es waren tatsächlich schon siebzehn Minuten nach Unterrichtsbeginn. Frau Gilbert ist eigentlich nicht diejenige, die ihre Klasse warten lässt. Also konnte man fast schon davon ausgehen, dass sie heute nicht da war. Na ja, auf eine Stunde Englisch konnte ich aber auch gut verzichten, es war nicht mein stärkstes Fach. „Eigentlich schade, wir haben ein ziemlich gemeines Bild von Robin an die Tafel gemalt, weil wir dachten, dass er früher kommt. Haben es dann aber wieder weg gewischt, weil Frau Gilbert ja sonst immer so überpünktlich ist.“ sagt Paul, der sich zu mir umdreht. „Echt?“ frage ich, etwas beängstigt. „Ja, aber Lena hat ein Foto davon gemacht! Willst du es sehen?“ fragt mich Tim. „Klar, warum nicht...“ sage ich leise. Lena, die im übrigem neben Paul sitzt, zieht ihr Handy aus der Hosentasche und öffnet es. Sie tippt ein wenig auf den Tasten herum, dann scheint sie es gefunden zu haben, grinst und gibt mir das Handy. Vorsichtig werfe ich einen Blick auf das „Kunstwerk“.
Die Qualität des Handyfotos ist nicht gerade die beste, aber man erkennt alles. Auf der grünen Tafel wurde mit weißer Kreide ein Abbild von Robin gemalt. Er wurde was sein Styling angeht etwas übertriebener dargestellt als wie es in Wirklichkeit ist. Außerdem steht daneben „Schwule Sau“. Die Schrift erkenne ich sofort, das hat Phillip geschrieben. „Lustig, wa?“ fragt Hendrik, der sich zu uns gesellt hat. „Na ja...“ sage ich kleinlaut in der Hoffnung noch irgendeine Antwort zu finden. „Was Na ja?“ fragt Paul. „Achtung! Der Feldhorn!“ ruft Finn, der sich wie immer an die Tür gelehnt hat. Lena nimmt ihr Handy und steckt es blitzschnell wieder weg. Herr Feldhorn hat soeben die Klasse betreten. „Guten Morgen, Frau Gilbert hat sich leider eine Grippe zugezogen, so werden wir statt Englisch Mathematik machen, aber das kann euch Haufen ja nicht schaden.“ sagt er in einem etwas lauterem Tonfall. Ein großes Seufzen durchdringt die Klasse und wir holen alle unsere Mathesachen heraus.
Das Klingeln zur Pause ertönt und ich bin heilfroh darüber, nochmehr Mathe hätte ich echt nicht vertragen, besonders bei dem Lehrer. Tim, Niko, Paul, Phillip und ich sitzen wie gewohnt auf der Tischtennisplatte und ich komme nochmal auf das Bild zusprechen. „Sagt mal... wie kommt ihr eigentlich darauf, dass Robin schwul ist?“ „Na guck doch mal wie der sich kleidet.“ sagt Phillip. „Genau. Total wie ein Emo und die sind doch alle schwul oder bi.“ stimmt Tim mit ein. „Findet ihr?“ frage ich. „Ja, total. Ich wette der steht auch auf Kerle. Aber erst Hannah hat uns da gestern drauf gebracht. Du warst übrigens gar nicht on... hattest du was zu tun?“ fragt mich Paul. „Ehm...“ sage ich und suche schnell nach irgendeiner halbwegs guten Ausrede. „Also... meine Mutter hatte mich mit zum Einkaufen geschleppt. Und dann haben wir noch bei McDonalds was gegessen. Und ja irgendwie ist der Tag dann schneller vergangen als gedacht. Ihr kennt das ja...“ „Ach du armer, mit der Mutti einkaufen gehen.“ lacht Paul. Ich stimme in dem Lachen mit ein, aber wirklich lustig finde ich das ganze hier gerade nicht. Es ist aussichtslos, da kann ich machen was ich will, aber wenn sie ihn jetzt schon als schwul abstempeln und solche Bilder zeichnen, dann würde ich sie nie davon überzeugen können, dass er ganz nett ist.
Nach Schulschluss hat fast die Hälfte der Klasse beschlossen zusammen Eis essen zu gehen. Ich hatte zugestimmt, zwar musste ich mir dann wahrscheinlich weitere „Wie ekeln wir Robin am besten aus der Klasse“-Pläne anhören, aber etwas Eis konnte jetzt echt nicht schaden und ich hatte meinen Vorrat an Ausreden für heute schon aufgebraucht. Angekommen bei unserer Lieblingseisdiele setzen wir uns in eine Ecke, die ausreichend Stühle für uns alle hat. Ich studiere die Karte ganz genau, es muss etwas preisgünstiges und großes sein, immerhin war ich momentan knapp bei Kasse, seit ich mir dieses Programmiererbuch gekauft hatte. Letztendlich entscheide ich mich für einen großen Eisbecher mit 4 verschiedenen Kugeln, Erdbeere, Schokolade, Waldmeister und Zitrone. Zuerst unterhalten wir uns über Herrn Feldhorn und sein schreckliches Mathematikthema, was wir in Zukunft eh nicht brauchen würden, doch das Thema raste schnell auf Robin zu. Damit ich nicht so viel dazu sagen muss bestelle ich mir nochmal eine Portion Eis und stopfe mich anschließend damit voll. Einige Minuten vergehen und plötzlich komme ich in eine sehr... unangenehme Lage. Robin betritt die Eisdiele. Aber als ist das noch nicht genug ist ein Junge bei ihm! Das ist ein gefundenes Fressen für meine Mitschüler. „Leute, da ist Robin!“ flüstert uns Tim zu. „Und der ist nicht allein. Das ist bestimmt sein Freund!“ sagt Hannah. Aber nein. Das war nicht Robins Freund, das wusste ich hundertprozentig.
Damals hingen Robin und ich nicht ausschließlich nur zu zweit rum. Mutter und Tante Gesine haben uns in die gleiche Grundschule gesteckt, sowie in die gleiche Klasse, damit wir schonmal jemanden hatten den wir kannten. In der ersten Klasse lernten wir Gideon kennen. Er war wohl das schlauste Kind was ich damals kannte, er wusste einfach alles! Nachdem Robin wegzog hatte ich noch Kontakt zu Gideon bis ich dann auf das Gymnasium ging und er auf eine Privatschule. Von da an trennten sich unsere Wege, ich wusste, dass er in der Nähe wohnt, aber ohne Robin hatte einfach etwas gefehlt und wir sind unsere eigenen Wege gegangen.
Besagter Gideon ist gerade in diesem Moment in dieser Eisdiele! Warum zum Teufel müssen die beiden ausgerechnet jetzt aufeinander treffen? Meine Mitschüler zerreißen sich das Maul darüber, sie stellen die wildesten Theorien auf und ich... muss weg. „Boah guck mal der kann ja doch lächeln!“ sagt Phillip. „Ist ja auch sein Macker.“ sagt Paul. Wenn die beiden mich entdecken dann wäre das eine Katastrophe! Irgendwie muss ich an den beiden vorbei kommen, ohne das sie mich sehen. „Ich muss los.“ sag ich knapp und stehe vorsichtig auf. „Was, warum das denn?“ sagt Lena. „Ich muss nachhause, mir ist gerade eingefallen dass meine Mutter irgendwas mit mir vorhatte.“ „Och nee das ist doch nicht dein ernst.“ schmollt Lisa. „Gerade jetzt wo es spannend wird?!“ sagt Tim. „Ja, tut mir leid, bis morgen.“ sage ich und stürme aus der Eisdiele heraus. Wie es scheint haben sie mich echt nicht gesehen.
Ich mache mich schnellstens auf den Weg nachhause. Mensch so kann das echt nicht weiter gehen, ich muss mir unbedingt etwas einfallen lassen! Der Abend bricht langsam ein und ich bin immer nochnicht weiter als zuvor. Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Um einen kühlen Kopf zu bekommen beschließe ich etwas spazieren zu gehen. Tante Gesine ist auch da, aber sie hat Robin nicht mitgebracht, was vielleicht gar nicht mal schlecht war. Ich ziehe mir meine dünne Kapuzenjacke über und mache mich auf den Weg, meiner Mutter sage ich dass ich in etwa dreißig Minuten wieder da bin.
Die Straßenlaternen gehen nacheinander um Punkt zwanzig Uhr an. Von der Stadt führt ein kleiner Weg ab, über ein Feld bis hin zu einem Wald. In diesem Wald hatten wir früher unser Baumhaus. Robin und ich hatten es kurz vor seinem Umzug mit unseren Müttern gebaut. Wir hatten dann mit Gideon dort im Sommer gespielt. Oft war ich von da an dann nicht mehr dort.
Der Weg war kein wirklicher Weg. Eigentlich war es nur Erde, die bis zum Wald geschüttet wurde. Außen rum war das besagte Feld. Ich bewege mich aber nur vorsichtig bis zum Wald hin, immerhin konnte man nie wissen in was man hier rein tritt. Bis auf die fahrenden Autos, die etwas weiter auf der Straße fahren, kann man nichts weiter hören, bis auf die Stille der Nacht.
Total verträumt und in Gedanken versunken gehe ich also diesen Feldweg entlang bis ich plötzlich... ein „Hey“ höre. Ich schaue hoch und sehe... Robin und Gideon. „Was für ein Zufall.“ sagt Zweiterer und umarmt mich stürmisch. „Oh... hey.“ sage ich überrascht. „Wir haben gerade noch von dir gespruchen.“ sagt Robin. Gideon löst die Umarmung und schaut mich an. „Du bist ja riesig geworden!“ lacht er. Er ist ungefähr 1,70 m groß, also liegt er in der Mitte zwischen Robin und mir. Früher hingegen war er der kleinste. „Was machst du denn hier?“ fragt Robin, der wie immer ziemlich gelassen aussieht. „Ach ich... ich spaziere hier nur ein wenig entlang...“ sage ich leise. „Wolltest du dir auch das Baumhaus ansehen? Wir haben danach gesucht, aber es leider nicht mehr gefunden.“ sagt Gideon. „Ach eigentlich bin ich nur zufällig hier lang gelaufen, aber... wir können ja mal zusammen gucken ob wir es finden.“ schlage ich vor. „Super Idee!“ sagt Gideon, der sich wie ein kleines Kind freut. Zusammen gehen wir nun also in Richtung Wald.
Gideon hat sich so wie ich kaum verändert. Er trägt zwar etwas längeres Haar und hat jetzt eine Brille, aber sonst kaum. Er trägt immer noch die Streifenpullover, die ihm seine Mutter kauft und er ist vom Charakterlichen auch immer noch gleich geblieben. Wahrscheinlich hat er auch die besten Noten aus seiner Klasse, wie früher. Nach einer kurzen Unterhaltung darüber, wie es bei ihm so in der Schule läuft, herrscht Stille. Bis Robin auf etwas zurück kommt. „Ach, übrigens glaube ich der Daniel verheimlicht uns etwas.“ grinst er. „Echt?“ Gideon sieht sofort zu mir rüber. „Was? Quatsch, erzähl nicht so einen Blödsinn.“ sage ich zu Robin. „Ach ich glaube dass dein Onkel jetzt Vater einer Tochter ist, ist nicht unbedingt das, was du mir erzählen wolltest.“ grinst er weiter. Mist, er ist schlauer als ich gedacht habe. „Aber ich habe nichts zu verheimlichen.“ versichere ich. Das ist zwar eine Lüge, aber egal. „Das glaube ich dir nicht.“ sagt Robin. „Dafür kenne ich dich doch zu gut.“ zwinkert er mir zu. „Hey, immerhin haben wir uns Jahre nicht gesehen, also behaupte nicht, du würdest mich kennen.“ sage ich, etwas verärgert. Vielleicht zu verärgert, sein Lächeln verschwindet, er sieht sogar fast so aus, als wäre er etwas baff von dem, was ich gesagt habe. „Okey...“ sagt Gideon, der die Stimmung wieder etwas auflockern will.
Mittlerweile waren wir bei dem Wäldchen angekommen. Mit der Zeit hat sich eine Menge Dreck angestaut, zum Teil wurden sogar Sachen wie alte Waschmaschinen hier einfach abgestellt. Irgendwie ist es sogar ein wenig unheimlich, insbesondere weil es so dunkel ist. Robin und ich rücken unbewusst etwas mehr zusammen und Gideon ging ganz unbeschwert vor uns her. „Vorhin war es aber nocht nicht so dunkel.“ sagt Robin. „Ja, ist ja auch wieder etwas Zeit vergangen.“ sagt Gideon. „Können wir nicht mit unseren Handys ein wenig Licht machen.“ frage ich. „Nein auf keinen Fall, wenn hier irgendwelche Tiere sind, dann wäre das ganz schlecht, wenn wir die mit Licht anstrahlen.“ warnt mich Gideon. Mit einem etwas mulmigen Gefühl gehen wir weiter, ich habe schon vergessen was ich zu Robin gesagt habe und wir gehen jetzt Seite an Seite weiter. Aber so war das schon immer, Gideon hatte auch schon damals vor nichts Angst.
Robin und ich hingegen würden wohl am liebsten wieder nach Hause gehen. „Ich glaub wenn wir jetzt rechts gehen müsste es bald kommen.“ sage ich. „Stimmt, Robin und ich sind nach links, lasst es uns ausprobieren.“ sagt Gideon, der wie als wäre er unser Anführer, vor uns weiterhin hinweg geht. Wir gehen noch ein paar Meter bis Robin plötzlich aufschreit. „Was ist denn?“ fragt Gideon.
„Ah... ich bin voll umgeknickt.“ sagt Robin leise. „Schlimm?“ frage ich besorgt. „Wenn ich auftrete tut es ziemlich weh.“ sagt er wimmernd. „Dann stütz ich dich.“ schlage ich vor. „Nein ich mach das.“ sagt Gideon. Ich schaue ihn verwundert an. „Na ich bin kleiner als du, das ist doch dann nicht so umständlich.“ sagt er. „Stimmt...“ sage ich leise. Robin legt seinen Arm um Gideon und dieser schlägt direkt vor nachhause zu gehen. Wir stimmen alle zu, immerhin war es so nicht wirklich angenehmer weiter nach dem Baumhaus zu suchen. Diesmal gehe ich vorne hinweg und die anderen beiden hinter mir her. Als wir wieder in der Stadt waren, schaue ich besorgt auf die Uhr. „Oh nein, ich hatte meiner Mutter gesagt dreißig Minuten. Jetzt sind es schon fünfundvierzig. Sie wird mich umbringen.“ „Ach was, wenn du ihr sagst dass du dich um Robin gekümmert hast, macht ihr das bestimmt nichts und sie wird voller Sorge zu Robin eilen.“ sagt Gideon. „Stimmt, Tante Gesine ist bestimmt auch noch da.“ sage ich.
Bei mir angekommen öffnet meine Mutter voller Sorge die Tür, sie ist schon drauf und dran mir einen rein zu würgen, weil ich zu spät bin. Dann sieht sie Robin und Gideon und bricht fast in Tränen aus ganz zu schweigen von Tante Gesine, erstmal wird sich um Robin gekümmert, der Fuß ist nicht wirklich dick geworden, also haben wir erstmal Schmerzgel draufgeschmiert und einen Verband drum gewickelt. Dann unterhielten sich die beiden noch mit Gideon, immerhin war er sowas wie ihr drittes Kind. Stolz erzählt er von der Privatschule und dass er der beste aus seiner Klasse ist. Dafür muss er aber auch ziemlich oft lernen, gibt er zu. „Na ja, ich denke Robin und ich werden dann gehen. Sollen wir dich mitnehmen Gideon?“ fragt Gesine. „Das wäre wirklich nett Frau Osterwald.“ sagt Gideon. „Morgen kommen wir gegen Mittag, Vera.“ sagt sie schnell noch zu meiner Mutter und dann verschwinden die drei. „Das ist wie früher oder Dani?“ fragt meine Mutter. „Ja irgendwie schon.“ sage ich, während ich die Treppe hoch zu meinem Zimmer gehe.
Robin würde also morgen wieder herkommen. Es war wirklich so wie früher. Nur dass wir keine Kinder mehr waren, sondern Jugendliche. Und damit hatten wir einen haufen Probleme. Im Gegensatz zu unserer unbeschwerten Kindheit, wo das größte Problem noch war, wie man dem Gemüse am besten entkommt, waren unsere Probleme jetzt doch etwas größer. Wenn die anderen das alles rausbekommen würden, würden sie mich toasten. Aber jetzt war erstmal Wochenende. Ich bleibe einfach zuhause, dann laufe ich denen auch nicht über den Weg. Und wer würde schon zufällig an meinem Haus vorbeilaufen, während Robin mit seiner Mutter eintritt. Immerhin wohnte hier in der Gegend ja niemand! Es ist echt verrückt, bis vor einer Woche hätte ich nicht im Traum daran gedacht, Gideon und Robin wieder zu sehen.
Samstagmorgen. Man kann ausschlafen, in Ruhe frühstücken und kann sich bei allem Sonstigen auch Zeit lassen. Ich liebe den Samstagmorgen. Er ist zwar nur halbsogut wie die Ferien, aber es gibt ihn öfter. Meine Mutter ist noch unterwegs, also beschließe ich etwas fernzusehen. Leider läuft am Wochenende nicht wirklich gutes im TV, also schalte ich ihn nach einigen Minuten wieder ab. Gegen Mittag wollen Tante Gesine und Robin kommen, also bleibt noch etwas Zeit. Schnell hopse ich unter die Dusche, das schöne ist dass man auch hier nicht auf die Uhr achten muss, sondern sich schön viel Zeit lassen kann. Nachdem ich geduscht habe, ziehe ich mir ein paar frische Klamotten an, gemütlich aber auch nicht zu schlampig. Dann klingelt das Telefon. „Ja.“ melde ich mich außer Atem (immerhin musste ich die Treppe runter rennen). „Dani?“ sagt eine mir bekannte Stimme. „Oh... hi.“ sage ich etwas verwundert. Warum ruft er an? „Ich wollt nur mal wissen ob du nicht mal wieder Zeit hast.“ Meine Mutter kommt die Tür herein. „Daniel, ich bin wieder daha!“ krakeelt sie. „Ich muss auflegen.“ sage ich, während ich den roten Knopf betätige. Meine Mutter kommt mit zwei riesigen Tüten hereinspaziert. Wahrscheinlich will sie jetzt öfter kochen, immerhin ist Tante Gesine wieder da und die darf ja nicht denken, dass meine Mutter faul ist. „Was hast du denn alles besorgt?“ frage ich. „Hach nur ein paar Kleinigkeiten.“ sagt sie erfreut. „Hat Tante Gesine angerufen?“ fragt sie. „Nein Mom, sie kommt gegen Mittag also bleib cool.“ sage ich. „Och Schatz du weißt doch wie ich bin, was ist wenn sie nun doch früher kommt, es sieht hier aus wie ein Saustall und das Essen und...“ Ich schalte auf Durchzug. Wenn man ihr jetzt recht gibt wird sie das jeden Tag abziehen.
Punkt zwei Uhr steht Tante Gesine vor der Tür. Mutter und sie verfallen in ihr übliches Begrüßungsritual, welches eine gefühlte halbe Stunde dauert. Robin trägt immer nochden Verband, aber er wäre jetzt nicht hier, wäre es schlimmer geworden. Denn ich kenne Gesine, wenn es um ihren kleinen Jungen geht ist ihr nichts zu Schade, einmal hat sie eine Krankenschwester zusamMengeschrien, weil sie wegen seinem Bauchweh nicht sofort drankamen. Dabei hatte sich Robin einfach überfressen und ein kleines Mädchen hatte einen Fahrradunfall gehabt. „Hey“ begrüße ich ihn. „Hallo“ gibt er zurück. Wir verschwinden in mein Zimmer, um unseren Müttern zu entkommen und lassen uns da erstmal nieder. „Sie hat gestern noch total Panik gemacht, wegen meinem Fuß.“ sagt er. „Echt? Was hat sie denn gesagt?“ frage ich. „Na ja, wo wir uns rumgetrieben haben und so weiter...“ sagt er. „Tut es denn immer nochweh?“ frage ich. Er grinst mich an. „Ein wenig. Aber das passt schon. Sag mal... darf ich dich was fragen?“ „Klar.“ Jetzt bin ich aber mal gespannt. „Warum bist du gestern in der Eisdiele gegangen?“ Oh Gott. Mein Kopf schaltet aus, was soll ich denn darauf antworten?! „Ehm... ich...“ fange ich an zu stottern. Er schaut mich ernst an. Er hatte mich also doch gesehen. „Ich musste halt ziemlich schnell los.“ lüge ich. Sein Ausdruck verändert sich nicht. „Du kannst vielleicht behaupten dass ich dich nicht mehr so gut kennen würde. Aber... ich behaupte jetzt mal dass das gelogen ist.“ sagt er trocken.
Mir fällt die Kinnlade herunter. Ich bin wie erstarrt und weiß nicht was ich sagen soll. Nach einigen Minuten habe ich mich wieder gefasst. „Also ich weiß nicht wie ich das erklären soll...“ fange ich an. Er sagt nichts. „Also wegen der Klasse...“ „DANIEL“ schreit meine Mutter. Ich falle fast vom Stuhl. „Was denn?!“ rufe ich runter. „Wir haben was für euch gekocht, kommt runter!“ „Ja ist gut.“ sage ich etwas erleichtert. „Wir besprechen das später okey?“ sage ich leise. Robin sieht so aus als wenn er etwas sagen wollte. Aber so schnell wie er den Mund öffnet schließt er ihn auch. Wir stehen auf und gehen in die Küche. Jetzt hatte ich wenigstens etwas Zeit mir ein paar Worte zurechtzulegen.
Mutter ist wohl auf den Gemüsetripp gekommen. Es gibt Spinat mit Eiern und Kartoffelbrei. Wahrscheinlich will sie vor Gesine einfach nicht so aussehen, als ob sie mir nur Fette auftischt. Dann bilde ich mir die ganzen Jahre Fastfood ja auch nur ein. „Na sieht das nicht lecker aus.“ sagt meine Mutter und zwinkert mir zu. „Ja Mom, du kochst so gut.“ sage ich in einem ironischen Tonfall. „Sei nett zu deiner Mutter! Sie hat sich sehr viel Mühe gegeben!“ Wahrscheinlich weil sie seit Jahren nicht gekocht hat. Aber das behalte ich für mich. „Ja Tante Gesine.“ grinse ich sie an. Während des Essens müssen Robin und ich von der Schule erzählen. Was wir in den zwei Tagen schon alles gemacht haben und wie die Schule sonst so ist. Tante Gesine hält uns dann noch einen Vortrag darüber, dass wir auch immer lernen müssen, damit wir einen guten Job bekommen. Wir räumen noch schnell ab und dann geht es wieder in mein Zimmer.
Inzwischen sind fast zwei Stunden vergangen und es ist Nachmittag. In meinem Zimmer schalte ich den Fernseher an, damit sich die Lage etwas entspannt, immerhin war ich Robin noch eine Erklärung schuldig. Ich lasse mich auf meinem Stuhl nieder und schaue verunsichert zwischen dem TV und Robin her. Vielleicht will er ja doch keine Erklärung...? „Wegen vorhin.“ fängt er an. Okey falsch geraten, aber ich hab mich ja vorbereitet. „Ja also... du weißt doch. Unsere Klasse ist ja etwas schwierig und...“ „und?“ hakt er nach. „Ja also... und die, wie soll ich sagen...“ Robin schaut mich ernst an. „Ich meine... also ich.“ „Daniel...“ unterbricht er mich. „Ja?“ „Vergiss es einfach.“ sagt er und wendet seinen Blick dem Fernseher zu. „Was...? Robin ich kann das echt erklä-“ Mein Handy klingelt. Ich schaue aufs Display. Nein da kann ich jetzt nicht rangehen. Auf gar keinen Fall. Ich stelle das Handy auf stumm. „Wer war das?“ fragt Robin. „Nichts wichtiges.“ antworte ich.
Die Nacht verbringe ich unruhig. Ich fühle mich nicht wohl bei den Gedanken, dass ich die beiden so hintergehe... Ich versuche krampfhaft eine Lösung zu finden, aber... es gelingt mir nicht.
Als ich aufwache scheint ein Sonnenstrahl durch mein Rollo hindurch. Wann ich in dieser Nacht eingeschlafen bin weiß ich nicht.
Wir verabreden uns für diesen Tag mit Gideon. Wir wollen nochmal nach dem Baumhaus suchen, diesmal am Tag und dann wollen wir gucken was sich sonst noch so ergibt. Zwar wollte ich an diesem Wochenende zuhause bleiben, aber auf der kurzen Strecke zum Wald würde uns schon keiner sehen. Tante Gesine und Mutter haben wir erzählt, dass wir in die Eisdiele gehen. Immerhin könnte im Wald der Tod auf uns warten. Einer solchen Diskussion wollen wir dann doch aus dem Weg gehen und eine Notlüge kann ja auch nicht schaden.
Um drei Uhr stehe ich vor Gideons Haustür. Hier war ich schon lange nicht mehr, aber es hat sich auch nicht all zu viel verändert. Er wohnt in einem ziemlich großen Haus, seine Eltern sind ja auch sowas von stinkreich, zumindest was unsere Gegend anging. Robin kommt ein paar Minuten nach mir, unsere Begrüßung fällt knapp aus. Aber anscheinend habe ich recht, er trägt dieses Nietenhalsband nur nicht, wenn er gerade mit seiner Mutter unterwegs ist. „Ist was?“ fragt er. Seine Augen machen mich etwas nervös und ich muss zur Seite sehen. „Nein, nein...“ sage ich. Gideon kommt herausgestürmt, voller Energie, nagut er hat sich die Nacht wahrscheinlich auch nicht mit solchen Gedanken um die Ohren geschlagen. „Also Leute, lasst uns los gehen!“ sagt er begeistert.
Unsere „Wanderung“ zum Wald verläuft still. Selbst Gideon redet nicht viel, es sieht eher danach aus, als ob er sich die Landschaft anschaut. Wir wohnen aber auch in einer ziemlich schönen Gegend, wenn man bedenkt dass wir Stadtkinder sind. Robin geht etwas weiter vor uns, also nutze ich die Gelegenheit um ein kleines Gespräch mit Gideon zu führen. „Er hat sich ziemlich verändert oder?“ flüstere ich, kaum hörbar. „Findest du?“ gibt er zurück. „Na ja allein schon vom Äußerlichen.“ „Hmmm...“ sagt er. „Ja schon, aber er sieht doch so ganz süß aus.“ grinst mich Gideon an. Ich reiße meine Augen auf. Süß? Hat er das gerade echt gesagt? Robin sieht eher wie ein Kampfterrier aus aber das ist doch nicht... Ich schaue nach vorne. Wie aufs Stichwort dreht Robin sich um. Ich bleibe stehen, die andern beiden tun es mir gleich. „Was ist denn?“ sagt Gideon. Ich lege den Kopf schief. Klar also er ist so klein wie die meisten Mädchen und hat auch keine Pickel oder so und eine kleine Stupsnase aber... das muss doch nicht heißen dass er süß ist. „Daniel?“ Robin reißt mich aus meinen Gedanken. „Eh nichts, ich hab nur was überlegt. Lasst uns weitergehen.“ sage ich während ich mich wieder in Bewegung setze.
Der Wald wirkt jetzt nicht mehr so beängstigend wie am Abend vor zwei Tagen. Im Gegenteil, wäre da nicht der ganze Müll und die alten Waschmaschinen, wäre er sogar richtig schön. Wir gehen den gleichen Weg wie zuvor, diesmal achten wir aber darauf, dass niemand stolpert. Und da war es. Unser altes Baumhaus, man kann es zwischen den Blättern kaum erkennen, aber es ist immer nochda. „Tatsache Jungs.“ Gideon grinst. „Ist aber ganz schön klein.“ sagt Robin. „Ach für dich reicht es noch.“ lache ich. „Blödmann.“ sagt Robin, aber er muss selber lachen. Plötzlich schlägt mein Handy wieder Alarm. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und das darf doch nicht wahr sein! Ich schalte mein Handy aus und lasse es wieder verschwinden. „Wieder nichts wichtiges?“ fragt Robin. „Du hast es erraten.“ sage ich. Gideon, der das nicht mal mitgekriegt hat, bewundert das Baumhaus. „Da haben wir echt Arbeit geleistet.“ sagt er stolz. „Gideon... du meinst wohl wir beide haben Arbeit geleistet.“ sagt Robin. „Immerhin haben wir es gebaut, nicht du!“ Gideon dreht sich zu uns um. „Aber Jungs, ohne meine kreative Arbeit wäre es nicht das geworden was es jetzt ist!“ Ich schaue mir das halb zernagte Baumhaus an. „Jap, dafür sollten wir einen Preis kriegen.“ lache ich. „Und jetzt?“ fragt Gideon. „Na ja das Baumhaus haben wir ja jetzt gefunden... wie wäre es wenn wir Pizza essen gehen?“ fragt Robin. „Super Idee!“ sagt Gideon. Ich stimme zu, obwohl mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken ist.
In der Pizzeria lasse ich mein letztes Geld. Gideon hat eine rein vegetarische Pizza bestellt, Robin eine Margarita und ich eine mit Salami. Die Pizza an sich war nicht atemberaubend, aber es hat geschmeckt. Danach liefern wir Gideon zuhause ab und machen uns auf den Weg zu mir nachhause. Tante Gesine und meine Mutter spielen doch tatsächlich ein Autorennspiel. „Guck mal Schatz, ich habe deinen Rekord gebrochen!“ lacht sie mich an. Oder aus? „Ich sehe es.“ sage ich grimmig. „Och komm schon Dani, wir machen deine Spielkonsole auch nicht kaputt.“ kneift mir Tante Gesine in die Wangen. „Ja ihr dürfte ja spielen.“ sage ich und befreie mich aus ihren Händen. Robin und ich flüchten auf mein Zimmer.
So sehr wie ich den Samstagmorgen liebe, kann ich den Montagmorgen nicht leiden. Es ist der erste Tag an dem man wieder früh aufstehen und zur Schule muss. Ich zwänge mich aus dem Bett, beeile mich aber, damit ich nicht wieder zu spät komme. Auf dem Weg zur Schule begegne ich Robin nicht, vielleicht war er diesmal spät dran? In der Klasse herrscht ebenso gequälte Stimmung. Die meisten haben keine Lust auf Schule, besonders weil wir in den ersten beiden Stunden schon wieder Mathe haben. „Ich hab sowas von keine Lust auf den Feldhorn.“ sagt Celine. Ich drehe mich um, Robin ist immer nochnicht da, also wird er sich wohl verspäten. „Wir haben ihm einen Abzug des Bildes von der Tafel auf den Platz gelegt.“ grinst Tim. „Echt...?“ sage ich. „Jap, das wird so lustig, ich bin gespannt was der für ein Gesicht macht.“ lacht er. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. „Du hast ja gesehen, der ist echt schwul.“ sagt Paul, der sich wieder zu uns dreht. „Na ja wisst ihr auch ganz genau dass die beiden ein Paar sind?“ frage ich. „Klar, das hat man doch gesehen.“ meint Lena. „Glaubst du uns etwa nicht?“ fragt Hendrik und zieht eine Augenbraue hoch. „Ehm das... das habe ich doch gar nicht gesagt.“ nuschle ich. „Achtung er kommt.“ ruft Finn und sprintet zu seinem Platz. „Das wird genial.“ flüstert mir Tim zu. Robin öffnet die Tür und geht wie üblich ohne irgendjemanden zu grüßen zu seinem Platz. Alle versuchen etwas unauffällig zu ihm zu schauen und als er das Bild nimmt fangen die meisten an zu grinsen. „Genial.“ Tim muss sich echt beherrschen nicht zu lachen anzufangen. Ich schaue besorgt nach hinten und Robin sieht mich an. Oh nein, denk nichts falsches, ich habe überhaupt nichts damit zu tun! In diesem Moment vergesse ich die anderen. Es fühlt sich ganz danach an als ob ich Schuld an all dem habe. Er hat zwar letztens gesagt es interessiert ihn nicht, aber es verletzt ihn. Sein Blick ist kühl und darin liegt Enttäuschung. Weil ich die anderen nicht aufgehalten habe? Weil ich nicht dazu stehe, dass er mein Freund ist?... Ich versinke in meinem Stuhl und schaue nach vorne. Diesen Blick kann ich nicht noch länger ertragen. Robin zerknüllt das Foto und schmeißt es weg. „Ey, das hat Geld gekostet.“ ruft Phillip. Robin ignoriert ihn und setzt sich auf seinen Platz. Die anderen brechen in großes Gelächter aus. „Warum lachst du nicht? Das ist doch total genial.“ stupst mich Tim an. „Mir ist nicht so gut.“ sage ich, mit dem Blick gesenkt. Er hört langsam auf zu lachen. „Schlimm? Soll ich dich ins Krankenzimmer bringen?“ Ich denke kurz nach. Wegrennen, das ist gar keine so schlechte Idee. „Ja, bitte.“ sage ich leise.
„Siehst auch ganz schön blass aus.“ meint Paul besorgt, der das ganze auch mitgekriegt hat. Während ich rausgehe traue ich mich nicht zu Robin zu schauen.
Zuhause wälze ich mich im Bett hin und her. Das war wirklich schwach von mir. Wenn Tante Gesine heute mit Robin kommt wäre das mein totaler Untergang. Mein Handy klingelt. „Ja?!“ sage ich genervt, mit dem Wissen, wer mich anruft. „Dani, ich versuch dich schon seit Tagen zu erreichen. Was ist denn los? Das machst du doch sonst auch nicht.“ „Ich hab halt in letzter Zeit viel um die Ohren.“ „Was ist denn wichtiger als ich?“ Jetzt werde ich sauer. „Hörmal, lass mich einfach in Ruhe, okey? Es gibt tausend Dinge, die wichtiger sind!“ schreie ich und lege auf. Noch zwei weiter Male klingelt mein Handy. Ich drücke mir mein Kissen aufs Ohr und versuche zu schlafen. So kann ich wenigstens ein wenig Zeit totschlagen.
„Dani!“ „Mensch Daniel!“ langsam öffne ich die Augen. Meine Mutter steht neben meinem Bett, mit besorgtem Blick. „Warum bist du denn schon zuhause?“ fragt sie. „Ich fühle mich nicht so gut.“ sage ich leise. Sie hält mir ihre Hand an die Stirn. „Also Fieber hast du nicht. Ist dir schlecht?“ „Ja etwas.“ antworte ich. „Gut, ich mach dir einen Tee mein Schatz. Ruh dich weiter aus, aber zieh dir erst etwas anderes an. Du hast ja noch deine Jacke an.“ Ich muss feststellen, dass ich das wirklich noch habe. Ich ziehe mir meine Schlafsachen an und verschwinde wieder in meinem Bett. Meine Mutter kommt mit einem Tee in der Hand hoch. „Ich schicke Robin hoch zu dir. Ein wenig Gesellschaft tut dir gut und dann ist er nicht umsonst mitgekommen.“ sagt sie, während sie mir meinen Tee auf den Nachttisch stellt. „Robin ist hier?“ frage ich schockiert. „Ja, klar.“ „Aber, aber... nicht dass er sich ansteckt.“ Nein warum kommt der Idiot denn hier her? Da hätte ich auch gleich in der Schule bleiben können! „Ach was das tut er schon nicht und jetzt leg dich hin!“ Sie geht aus dem Zimmer. Ich drehe mich auf die Seite, mit dem Gesicht zur Wand hin. Oh man, das ist mein Untergang. Ich höre wie die Tür aufgeht, aber ich wage es nicht mich umzudrehen. Dann höre ich wie sich jemand auf meinen Stuhl setzt. „Hey“ und spätestens jetzt war ich mir sicher, dass es Robin ist. „Hey“ sage ich kaum hörbar. Eine Weile lang schweigen wir. „Wie geht’s dir?“ fragt er. „Na ja geht so.“ sage ich leise. Schaut er mich gerade an? Oder schaut er weg? Oh man das macht mich alles so nervös. „Wegen der Sache in der Schule...“ flüstere ich. Ich höre nichts. „Also... das tut mir leid.“ Robin antwortet nicht.
Nach einigen Minuten bin ich mir nicht mal mehr sicher ob er im Raum ist. Bis ich ein seufzen höre. „Schon okey.“ sagt er ebenfalls kaum hörbar. „Du hast ja bestimmt auch nichts damit zu tun... oder?“ „Natürlich nicht, das waren die anderen.“ versichere ich ihm. Eine Weile ist es wieder ruhig. „Na ja... ich habe gesagt es ist mir egal. Und das stimmt auch. Also musst du dich echt nicht schlecht fühlen oder so.“ sagt er. Und jetzt hat er sich auf mein Bett gesetzt. Mir ist das ganze so unangenehm, dass ich mich aufrichte. „Sicher?“ frage ich besorgt. Er lächelt mich an, aber ob das wirklich die Wahrheit ist, wage ich zu bezweifeln. Ich erinnere mich an seinen Blick heute morgen. Mein Handy vibriert und ich schwöre, irgendwann werde ich das Teil verbrennen! Ich hebe es hoch, mittlerweile sind es 4 Anrufe in Abwesenheit und 3 SMS. „Willst du mir nicht mal erzählen, wer dieser „Nicht wichtig“ ist?“ Ich denke wirklich darüber nach es zu sagen. Ihm einfach alles zu erzählen. Aber ehe je ein Wort aus meinem Mund kommt hat er sich auch wieder geschlossen. „Das ist wirklich unwichtig, glaub mir.“ versichere ich. „Deine Freundin?“ grinst er mich an. „Mh, nein. Ich habe keine Freundin.“ antworte ich und versuche mich zu einem Lachen zu zwingen.
Der Dienstag vergeht ähnlich wie der Montag. Leider habe ich keine Ausreden mehr im petto, so muss ich wohl oder übel mit den anderen zusammen weiter Pläne schmieden. Wirklich beteiligen tue ich mich daran aber nicht. Glücklicherweise lassen mich die anderen aber auch ein wenig in Ruhe damit. Wahrscheinlich weil ich vorgebe immer nochein wenig kränklich zu sein. Nach der Schule treffen Robin und ich uns bei Gideon. Da uns das Mathematikthema jetzt schon zu schaffen macht beschließen wir, oder eher Gideon, dass jener es uns bei bringt. Wirklich verstanden habe ich es jetzt immer nochnicht, aber bis wir eine Arbeit schreiben würden, würde ja auch noch ein bisschen Zeit ins Land fließen.
Mittwoch ist nach unserem Stundenplan nach der schlimmste Schultag der Woche. Nicht nur, dass wir bis in den Nachmittag hinein in der Schule hocken müssen, nein, wir haben außerdem Sport und müssen für Physik und Chemie noch in die jeweiligen Fachräume latschen, die sich im Gegensatz zu unserer Klasse im hinteren Bereich der Schule befinden. Außerdem sind sie im vierten Stock und ich muss ja wohl nicht sagen, dass die zwei Stunden Sport davor eigentlich ausreichen um uns alle total auszupowern.
Tante Gesine und Mutter entwickeln währendessen eine der, wie sie sie nennen, besten Ideen die sie je hatten. Robin und seine Mutter sollen nämlich am Freitag bei uns übernachten. Es war wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit bis sie hier einziehen würden.
Der Donnerstag verläuft im Gegensatz zum Rest der Woche sehr angenehm. Nach dem überaus sportlichen Mittwoch folgt nämlich ein sehr kurzer Schultag mit gerade mal fünf Stunden. Da heute auch noch eine Stunde ausfällt, haben wir sogar zur zweiten und nur vier Stunden Unterricht. Langsam stehe ich auf und strecke mich erstmal. Meine Mutter hat heute und morgen frei, was bedeuten würde, dass sie mir mein Frühstück macht. Das macht sie immer, weil sie ein schlechtes Gewissen wegen des Fastfoods hat. Außerdem wollte sie dass ich vor Tante Gesine dichthalte, immerhin hält die sie für eine hochgesunde Köchin. „Morgen.“ sage ich, während ich die Küche betrete. „Guten Morgen mein Schatz!“ zwitschert sie. Wow, wie kann man bloß zu gute Laune, so früh am Morgen haben? „Du Dani, da Robin und Gesi morgen kommen und hier schlafen, werde ich später noch ein wenig einkaufen. Soll ich dir irgendwas mitbringen?“ Mir fallen tausend Sachen ein, aber die sind leider für einen stinknormalen Wocheneinkauf viel zu teuer. „Och, ein neuer Computer wäre schon nicht schlecht, Mom.“ sage ich während ich sie mit einem gekonnten Dackeblick anschaue. „Tja wollen wir mal schauen was unser Budget dazu sagt. Oh tut mir leid, da ist kein neuer PC drin, mein Hase.“ sagt sie, obwohl sie nicht mal ins Portemonnaie schaut. Ich grinse sie an und sie grinst zurück und dann stellt sie mir einen Teller mit Pfannkuchen auf den Platz. „Das kannst du die anderen Tage der Woche ruhig auch machen Mom.“ lache ich. „Damit ich noch früher aufstehen muss? Sei froh dass ich überhaupt einkaufen gehe, was ich früher alles machen mus-“ ich stopfe mir ein Stück des Pfannkuchens in den Mund und versuche meine Mutter zu ignorieren.
In der zweiten Stunde haben wir Englisch. Frau Gilbert hat sich anscheinend von ihrer Grippe erholt und ist jetzt drauf und dran alles nachzuarbeiten, immerhin haben wir vier wertvolle Tage verloren. Sie versucht ganze vier Arbeitsblätter mit uns in einer Stunde durchzugehen und gibt uns Hausaufgaben auf, außerdem hat sie vor einen Vokabeltest in den nächsten Tagen zu schreiben, welch ein Glück...
Robin wird immer nochvon allen gemieden, außerdem fand er heute morgen einen nassen Schwamm auf seinem Stuhl vor. Nachdem wir die letzte Stunde, in der wir Geschichte haben, rumgekriegt haben, treffe ich Robin auf dem Nachhauseweg. „Na“ sagt er. Ich lächle ihm zu. „Meine Mutter stürzt sich gerade bestimmt in Unkosten für das Wochenende.“ lache ich. „Echt? Das muss sie dann den Rest der Woche auch machen, wir sind doch fast immer bei euch.“ meint er. „Stimmt, na ja dann wissen wir wenigstens bei wem wir unterkommen falls wir mal das Haus verlieren.“ grinse ich. „Das kannst du ja mal sowas von vergessen, Daniel!“